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2. Analysen


2.1 Bettina Hofacker, Robert Sackenheim: Globalisierungsfalle


2.1.1







2.1.2 Schaubild

 


2.1.2.1 Schritte zur Globalisierung

Völlige Handlungsfreiheit

High-Tech-Ökonomie

Sie wurde durch die Verbesserung der Kommunikation, der Computertechnologie (Internet, Intranet) der Verkehrswege, und der Logistik möglich. Die Beschäftigten geraten in einen Strudel aus Entwertung und Rationalisierung.

Transnationale Unternehmen

Transnationale Unternehmen bestreiten heute zwei Drittel des Welthandels, fast die Hälfte davon wird in konzerneigenen Netzwerken abgewickelt.


2.1.2.2 Globalisierung = Amerikanisierung

Gründe für die Orientierung an den USA

Nationale Größe des amerikanischen Marktes; - geopolitische Machtposition der USA nach dem 2.Weltkrieg.

wichtiger: ( schließen sich der Meinung Benjamin P. Barber´s an [Direktor des Walt Whitman Center an der Universität New Jersey])

" Der durchschlagende Erfolg der ´Disney – Kolonialisierung der globalen Kultur`, glaubt Barber, beruhe auf einer Erscheinung so alt wie die Zivilisation: dem Wettbewerb zwischen schwierig und leicht, langsam und schnell, komplex und einfach. Das jeweils erstere ist mit bewunderten kulturellen Leistungen verbunden. Disney, Mc Donald´s und MTV appellieren alle ans Leichte, Schnelle und Einfache". (Globalisierungsfalle, S.28)

"Der Dollar als Waffe"

These: Globalisierung der Finanzmärkte = Amerikanisierung

Seit 1990 beobachten Händler und Volkswirte, daß die Verhältnisse im Dollarraum weltweit die Zinsentwicklung bestimmen

Bsp. 1994: In Deutschland standen alle Zeichen auf einer Schwächung der Konjunktur-> Normale Folge: bei schwacher Nachfrage nach Krediten sinken die Zinsen -> Die US – Wirtschaft verzeichnete jedoch ein steigendes Wachstum, der Zins explodierte -> in Europa stiegen die Zinsen auf über 7%.

Amerika als Vorbild?

Vor ca. 12 – 13 Jahren: europäische Konkurrenten kamen auf den amerikanischen Markt (Unterhaltungselektronik, Autos). Die US- Wirtschaft hatte große Einbrüche.
Reaktion darauf: Rationalisierung und Lohnsenkung. Downsizing (Verkleinern), outsourcing (Auslagern), re – engeering (Umorganisieren).

1995 schrieb die "Buisness Week": Amerika, die produktivste Ökonomie der Welt

Einerseits: Die US-Bürger verfügen über ein Vermögen und Einkommen wie nie zuvor;
Andererseits: eine halbe Million Superreiche besitzen 1/3 des gesamten Vermögens der USA.


2.1.2.3 Soziale Auswirkungen

20 : 80 Gesellschaft

Fremdenhaß

Wanderung


2.1.2.4 Die EU als Alternative

Die EU könnte ein Gegenpol zu den Vereinigten Staaten werden.

Aber es soll keine Abschottung gegenüber der restlichen Welt stattfinden!

Nur die EU kann im entfesselten Global-Kapitalismus neue Regeln des sozialen Ausgleichs und der ökologischen Umgestaltung durchsetzen.


2.1.2.5 Auswirkungen auf die Ökologie

Die Sorge um den sozialen Frieden und Arbeitsplätze verdrängt das Interesse an Umweltfragen.Insgesamt befindet einer Raubbau an der Natur statt. Trotz versuchen wie der Rio-Gipfel wird der Raubbau immer stärker.
Die Folge: Verknappung und Verteuerung der Naturgüter.

Mindestnormen

Aufstellung von sozialen und ökologischen Mindeststandards ermöglicht Sanktionen gegen solche Länder, die demokratische und ökonomische Grundrechte nachweislich brechen.


2.1.2.6 Auswirkungen auf die Wirtschaft

"Turbo – Kapitalismus"

Global agierende Händler

Aufstieg des Neoliberalismus


2.1.2.7 Auswirkungen auf den Staat

Verliert Legitimation:

Wenn die Politik in allen existentiellen Zukunftsfragen auf die übermächtigen Sachzwänge der transnationale Ökonomie verweist, gerinnt sie zu einem Schauspiel der Ohnmacht und der demokratische Staat verliert seine Legitimation und seine Steuerungsfähigkeit. Der Fluß der Waren und des Kapitals ist transnational, die Regulierung und Kontrolle ist aber national geblieben.

Druck durch Finanzindustrie:

Staaten sollen die Steuern auf Vermögen und Kapitalanlagen senken, Deregulierung aller Finanzdienstleistungen, Einsparungen bei Ausgaben für staatliche Dienstleistungen und soziale Aufgaben.

Disziplinierung durch den Markt:

Regierungen richten die Gesellschaft an der Stabilität von Bond-Kursen und Währungen aus.

Aber:

Es ergibt sich ein zunehmendes Konfliktpotential

Steuerflucht:

Off-shore-Anarchie: z. B. Karibik oder Lichtenstein. Finanzplätze, wo das Vermögen von Bürgern und dem Zugriff der Herkunftsstaaten entzogen wird. Außerdem findet dort keine oder nur niedrige Besteuerung stattund die Anonymität der Kontoinhaber ist gegeben.

Folge: Verlegung von Konzernsitzen in ein steuerlich günstigeres Land.

Reformvorschlag: Tobin – Tax

BRD:

Ökologische Steuerreform und Aufwertung der Arbeit

eine höhere Besteuerung des Ressourcenverbrauchs kann arbeitsintensive Gewerbe fördern und den Gütertransport begrenzen.


2.2 Sven Schiffner, Sven Astheimer: Zukunftsfähiges Deutschland

Untersucht wird, welche Zukunftsperspektiven die Autoren des Buches Zukunftsfähiges Deutschland - Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung prognostizieren, und welche politischen Handlungsoptionen sie daraus ableiten.

Eingangsfragen, die der Studie zu Grunde liegen: Wie kann die weitere Aufspaltung der Gesellschaft in oben und unten, reich und arm verhindert werden? Wie müssen die sozialen Sicherungssysteme der Zukunft aussehen, um auch für eine im Durchschnitt ältere Gesellschaft tragfähig zu sein? Was ist erforderlich, um eine gesunde Wirtschaft zu erreichen, die möglichst vielen Menschen die eigene Existenzsicherung ermöglicht? Was kann und soll der Staat leisten? Wie soll die eigene Arbeitswelt gestaltet werden? Welche politischen Veränderungen sind erforderlich und welche institutionellen Anpssungen?

In der Folge versuchen die Autoren vom Wuppertal Institut für Kima Umwelt Energie GmbH Lösungsmöglichkeiten in den einzelnen Bereichen aufzuzeigen, die Ausführungen bleiben dabei jedoch zum Teil recht allgemein. Zum Teil werden Inovationen nur angedacht - wie beispielsweise ein Ökologischer Rat letztlich aussehen soll, darauf wird nicht eingegangen.

Die Studie basiert auf der Annahme, daß zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Teilbereichen große Interdependenzen bestehen, und ein tragfähiges Zukunftsmodell deshalb eines ganzheitlichen, globalen Anstatzes bedarf, der diese Vernetzungen in einem langfristigen Entwurf berücksichtigt.

Neben zahlreichen Leitbildern, die als Ziel am Ende des gesellschaftlichen Umbaus stehen, interessiert uns vor allem, welche konkreten politischen Steuerungsoptionen aufgezeigt werden. Es folgt eine erste, bewußt knapp gehaltene Aufzählung, die bei Bedarf ergänzt werden kann:

Instrument: Ökologische Steuerreform.

Instrument: Negative Einkommenssteuer

Instrument: dichte Zivilgesellschaft (Nachbarschaftsgruppen, Selbsthilfegruppen, die den Staat entlasten)

wichtige Voraussetzungen, die zu schaffen sind: freiwillige Selbsthilfeorganisationen müssen als Rechtssubjekte anerkannt werden, ZG nicht als Alternative zu Markt und Wohlfahrtsstaat, sondern als Ergänzung

Instrument: Soziale Grundsicherung

(Auführungen kamen auch schon in anderen Referaten vor; wenn gewünscht, kann aber auch von uns geliefert werden)

Instrument: Ökologischer Rat

Instrument: Verankerung ökologischer Grundrechte in der Verfassung (Staatsziel)

(keine weiteren Ausführungen)

Instrument: Schaffung eines Umweltgerichtshofs

(keine weiteren Ausführungen)

Instrument: Politsche Reform

Instrument: Internationale Politikkoordination und Schaffung von supranationalen Institutionen


2.3 Sven Kleinekathöfer: Die Gruppe von Lissabon


2.3.1 Zur Einstimmung

"Die Globalisierung der Wirtschaft hat eine fatale Wettbewerbsgläubigkeit entstehen lassen, die übersieht, daß freie Märkte die weltweit wachsenden sozialen, ökologischen, demographischen und beschäftigungspolitischen Probleme nicht lösen können.

Grenzen des Wettbewerbs stellt zunächst auf allgemeinverständliche Weise gegenwärtige Entwicklungen der Weltwirtschaft dar, um dann Wege aus der `Globalisierungsfalle´ aufzuzeigen.

Die Gruppe von Lissabon widerlegt die weitverbreitete These von der Ohnmacht der Politik vor der Wirtschaft und macht deutlich, wie durch globale Verträge eine ökologisch und ökonomisch verantwortliche Kontrolle der weltweit vernetzten Wirtschaft erreicht werden kann." (Die Gruppe von Lissabon 1997: Buchdeckeltext)

"Der Wettbewerbsimperativ hat entwickelte Wirtschaften dazu gebracht, die Ansprüche von Menschen den Anforderungen neuer Technologien und den Handelsergebnissen unterzuordnen."

Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 75

"Die globale Welt ist das Ergebnis einer tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Umstrukturierung (...). Diese globale Transformation verändert die Rolle, die bis vor kurzem den Nationalstaaten, den einzelnen Volkswirtschaften, dem Bruttoinlandsprodukt sowie der industriellen Modernisierung und den nationalen Wohlfahrtsverträgen zukamen."

Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 29

"Der Prozeß der Globalisierung ist der Anfang vom Ende der nationalen Systeme als bisheriger Höhepunkt von menschlichen Aktivitäten und Strategien. (...) Es wäre eine unzutreffende Vereinfachung, zu behaupten, daß der Nationalstaat eine zu kleine politische Einheit sei, um auf die wachsende Zahl globaler Probleme und Herausforderungen zu reagieren (...). Das Problem liegt darin, daß der Nationalstaat sich häufig für den wichtigsten oder gar einzig legitimierten Akteur bei globalen Angelegenheiten hält."

Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 51-52

"Wer ausschließlich auf den Markt setzt, zerstört mit der Demokratie auch die Marktwirtschaft selbst."

Ulrich Beck

"Das Glaubensbekenntnis der Wettbewerbsfähigkeit hat seine Evangelisten, Theologen, Priester und, natürlich, Gläubigen. Letztere sind jene Millionen Menschen der entwickelten Regionen und Schichten der Welt, vor allem in der Triade."

Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 134

"Es ist an der Zeit, die verheerenden Konsequenzen eines exzessiven Wettbewerbs anzugehen und über das kurzfristige Ziel eines eigenen Überlebens hinauszublicken."

Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 27

"Unsere Gesellschaften sind heute (...) mit den selben Problemen konfrontiert wie die Gesellschaften des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Das Problem waren auch damals die Exzesse des Kapitalismus."

Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 23

"Die Logik des Überlebens siegt häufiger über die Logik globaler Koexistenz und gemeinsamer Entwicklung als umgekehrt."

Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 83

"Die Geschichte des Kapitalismus hat die nationalen Grenzen gesprengt. Eine neue Epoche, die Ära des globalen Kapitalismus, bricht an, und sie wird die Entwicklung der Gesellschaften in den nächsten Jahrzehnten bestimmen."

Die Gruppe von Lissabon 1997:S. 53


2.3.2 Zu den Autoren ("Die Gruppe von Lissabon")

"Die Gruppe von Lissabon besteht aus renommierten Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen sowie aus politischen und ökonomischen Praktikern aus Westeuropa, Japan und Nordamerika mit Erfahrungen in internationalen Organisationen, Regierungen und Unternehmen. Die Gruppe, die ihre Arbeit 1992 in Lissabon begann, wurde von Riccardo Petrella, Professor an der Universität Louvain, Belgien, und ehemaliger Leiter des FAST-Programms (Forecasting and Assessment in Science and Technology) der Europäischen Kommission, ins Leben gerufen. Grenzen des Wettbewerbs wurde in mehrere Sprachen übersetzt und faßt die grundlegenden Positionen der Gruppe in Form eines Kritischen Minifests zusammen." (Die Gruppe von Lissabon 1997: Buchdeckeltext).

An der Schaffung des Buches waren insgesamt 19 Mitglieder der "Gruppe von Lissabon" aus Japan, Westeuropa und Nordamerika mit unterschiedlichen Erfahrungen in Wirtschaft, Politik, internationalen Organisationen und der Wissenschaft beteiligt (vgl. Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 4-5):


2.3.3 Zur Globalisierung

Die "Gruppe von Lissabon" unterscheidet zwischen "Internationalisierung" (1), "Multinationalisierung" (2) und "Globalisierung" (3):

  1. "Internationalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft bezeichnet den Austausch von Rohstoffen, Industrieprodukten sowie Dienstleistungen, Geld, Ideen und Menschen zwischen zwei oder mehreren Nationalstaaten." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 44)
  2. "Die Internationalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft geht von Nationen als Akteuren aus. Eine bedeutende Rolle spielen hierbei die staatlichen Behörden." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 45)
    "Im Rahmen der Internationalisierung der Wirtschaft stellt der Wettbewerb zwischen Unternehmen verschiedener Volkswirtschaften ein zentrales Instrument zur Erzielung und Sicherung positiver Handelsbilanzen dar." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 45-46)
  3. "Die Multinationalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ist vor allem durch den Transfer und die Verlagerung von Ressourcen besonders des Kapitals (...) von einer Volkswirtschaft in die andere gekennzeichnet." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 46)
  4. "Eine typische Erscheinung der wirtschaftlichen Multinationalisierung ist es, wenn eine Firma durch Tochterfirmen, Übernahmen oder verschiedene Formen von Kooperation finanzieller, technischer und industrieller Art Produktionskapazitäten in ein anderes Land verlegt. Die Multinationalisierung der Wirtschaft folgt der Logik der Marktexpansion (...)." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 46)
  5. "Die Globalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ist eine neue Erscheinung, die sehr unterschiedliche Formen und Erscheinungsweisen annehmen kann. (...) Es gibt nicht das eine gültige Globalisierungsmodell." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 47-48)

Globalisierungskonzepte

Kategorie

Hauptelemente/-prozesse

1. Globalisierung von Finanzen und KapitalbesitzDeregulierung der Finanzmärkte. Internationale Kapitalmobilität (d.h. monetäre Ströme, ausländische Direktinvestitionen und Portfolio-Investitionen). Anstieg der Firmenverschmelzungen und –aufkäufe (Fusionen und Übernahmen): Tendenz einer Oligopolisierung. Globalisierung des Aktienbesitzes in der Frühphase. Multinationalisierung von Produktion und Unternehmen. Internationale Transaktionen werden zunehmend von transnationalen Konzernen bestimmt. Die globale Finanz- und Industriemobilität übergeht die auf Nationalstaatsebene existierenden Regelwerke, damit Ende der "Volkswirtschaften". Kapitalströme bewegen sich heute zu 80% innerhalb der Triade.
2. Globalisierung der Märkte und MarktstrategienWeltweite Integration der Geschäftsabläufe. Etablierung integrierter Operationen im Ausland (inkl. F&E und Finanzierung). Globale Suche nach Komponenten und strategischen Allianzen. Liberalisierung ganzer Wirtschaftsektoren. Begrenzung staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft (Deregulierung). "Strukturanpassungspolitiken" von Weltbank und IWF.
3. Globalisierung von Technologie und der damit verbundenen Forschung und Entwicklung bzw. des WissensTechnologie ist der Schlüsselfaktor: Die Entwicklung der Informationstechnologie und der Telekommunikation ermöglicht die Entstehung globaler Netzwerke innerhalb einer oder zwischen mehreren Firmen. Globalisierung als Prozeß der "Toyotisierung" (lean production). Entkopplung von Wirtschaftsentwicklung und Beschäftigung. Logik eines systematischen, permanenten und unaufhaltsamen Ersatzes von Produktionsprozessen, Produkten, Dienstleistungen und "menschlichen Ressourcen", sollten neue Formen effizienter und rentabler sein. Abschwächung von Arbeitsplatzregulierungen und Sozialprogrammen. Globale, deregulierte Transport- und Verkehrsinfrastrukturen. Entstehung globaler (ziviler) Informationssysteme und Kommunikationsnetzwerke.
4. Globalisierung von Lebensformen und Konsummustern sowie des KulturlebensTransfer und Transplantation der vorherrschenden Lebensweisen. Angleichung des Konsumverhaltens. Bedeutende Rolle global agierender Medien. GATT-Regeln werden auf Kulturaustausch angewandt. Ausbildung einer (teilweise aufgeklärten) "Globalisierungs-Elite" ("Global Player")
5. Globalisierung von RegulierungsmöglichkeitenDie reduzierte Rolle nationaler Regierungen und Parlamente. Weltweite "Demokratisierungswelle" aber auch fundamentale Legitimationskrise des Nationalstaates. Versuche, eine neue Generation von Regeln und Institutionen für die globale Steuerung zu schaffen. Wachsende Bedeutung von formellen NGOs und informellen Netzwerken auf allen Ebenen ("globale Zivilgesellschaft"). Anwachsen internationaler Initiativen, Konferenzen, Dokumente und Verträge.
6. Globalisierung als politische Einigung der WeltStaatenzentrierte Analyse der Integration der Weltgesellschaften in ein globales wirtschaftlich-politisches System unter Leitung einer Zentralmacht. Aber geringe Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines "globalen Staates" in mittelfristiger Perspektive (20-30 Jahre)
7. Globalisierung von Wahrnehmung und BewußtseinSozio-kulturelle Prozesse, die sich am "Eine Welt"-Modell, der "globalistischen" Bewegung, dem Weltbürger orientieren. Breite Wahrnehmung globaler Probleme (Ökologie, Menschenrechte, ...). Vorstellung einer "allen gemeinsamen Zukunft". Wahrnehmung eines "Prinzips der Verantwortung für die Menschheit und zukünftige Generationen". Konzeption einer "nachhaltigen Entwicklung"

Quelle: Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 49; auf der Grundlage von W. Ruigrok/R. van Tulder: The Ideology of Interdependence, Amsterdam 1993; anhand des Buches verändert und ergänzt

"Keiner dieser Globalisierungstypen erfaßt (..) paradigmatisch das Wesen und die Eigenschaften der Globalisierung als solcher." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 48)

Ergebnis

Gesellschaftliche Ordnung im Zeichen der Globalisierung ist "positiv" zu bewerten, wenn sie auf ein "globales Gemeinwohl" (Integration, gesellschaftliche Wohlfahrt) hinsteuert, jedoch "negativ", wenn sie auf "Eigeninteresse" (Wettbewerb, Fragmentierung) ausgerichtet ist (vgl. Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 82).

Die Globalisierungskonzepte 1-4 sind wirtschaftlicher Natur oder haben wirtschaftliche Vorgänge zur Ursache. Treibende Kraft ist die Eigendynamik des globalen Wettbewerbs. Die negativen Folgen dieser Globalisierung werden von den positiven politischen und kulturellen (bisher) nicht gleichwertig ausgeglichen, da diese mit der wirtschaftlichen Globalisierung nicht Schritt halten können.

Folge ist ein "nicht akzeptables Ungleichgewicht" (Petrella 1998: S. 8), z.B. Auflösung bisheriger "Sozialverträge", die "individuelle und kollektive Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und wirksame Formen von Solidarität zwischen Menschen und Generationen" (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 66) garantierten und beförderten

Vier grundlegende Prinzipien des "Sozialvertrages" (vgl. Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 67):

  1. Das Recht auf Arbeit (Vollbeschäftigung, lebenslange Beschäftigung, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, ...)
  2. Die Bekämpfung der Armut (Mindesteinkommen, weitere Formen der sozialen Unterstützung im Kampf gegen Armut und Ausgrenzung)
  3. Der Schutz vor Risiken (Sozialversicherungen, ...)
  4. Die Förderung der Chancengleichheit (öffentliche Ausgaben für Erziehung und Weiterbildung, Transport, Kultur und Freizeit, ...)

"Heute ist die Öffentlichkeit davon überzeugt, daß größere Wettbewerbsfähigkeit eines Landes sich so gut wie gar nicht mit der Erhaltung des Sozialstaates verträgt." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 70)


2.3.4 Zum Wettbewerb

Wettbewerb als solcher ich zunächst einmal positiv zu sehen à "Wettbewerb ist ein wichtiges Instrument und ein wesentlicher Bestandteil des wirtschaftlichen Handels von Unternehmen und Staaten. Wettbewerb um die effiziente Nutzung von Rohstoffen und die Schaffung neuer Wege zur Befriedigung individueller und kollektiver Bedürfnisse zu immer niedrigeren Kosten und bei immer höherer Qualität hat wesentlich zur Verbesserung sowohl des materiellen Wohlstandes als auch der nicht materiellen Lebensqualität beigetragen. Als eine der entscheidenden Antriebskräfte hat der Wettbewerb große Errungenschaften ermöglicht und Zukunftsvisionen stimuliert." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 15)

Inzwischen jedoch – etwa seit den 1970er Jahren – ist eine "neue Ära des Wettbewerbs" angebrochen: der reale Wettbewerb ist zu einem universellen Credo, einer Ideologie ("Wettbewerbsimperativ"), zum wirtschaftlichen Selbstzweck, zum theoretischen Hintergrund von Herrschaftsausübung (in vertikaler Richtung) und Konkurrenzvernichtung (auf horizontaler Ebene) geworden (vgl. Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 16); dieser Wettbewerb löst sich sogar von der Domäne der Wirtschaft ab und dringt auf allen Ebenen des Alltagslebens ein.

Und auch die nationalstaatliche Politik ordnet sich dem globalen Wettbewerb unter, um an der weltwirtschaftlichen Entwicklung teilnehmen zu können: "Die Wettbewerbsfähigkeit der Nation ist heute das Hauptanliegen von staatlicher Wirtschafts- und Industrieministerien sowie von Finanz- und Arbeitsministerien geworden. Sie versuchen Kapital ins Land zu holen und im Land zu halten, um dadurch die höchst mögliche Beschäftigungsrate sicherzustellen, dem lokalen Kapital Zugang zu internationaler Technologie zu ermöglichen sowie ein Steueraufkommen zu gewährleisten, das ein Minimum an sozialem Frieden garantiert." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 16)

Die negativen Effekte des exzessiven Wettbewerbs

Der exzessive Wettbewerb

Quelle: Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 144; anhand des Buchs ergänzt und verändert

Ergebnis

Die "Gruppe von Lissabon" hält den Wettbewerb per se nicht für negativ, sie stellt sich jedoch gegen die exzessive Wettbewerbsideologie, die alle anderen Formen der Organisation des wirtschaftlichen, politischen und sozialen Lebens ausschließt. à "Wettbewerb ist eine völlig unzureichende und inadäquate Antwort auf die neuen Formen der Koexistenz und der gemeinsamen Entwicklung, die eine endliche Welt erfordert (...)." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 147)

"Der Wettbewerb ist nicht der einzige Wert, der den einzelnen Ländern der Weltgemeinschaft dient. Der Wettbewerbsmarkt ist nicht alles. Er kann seine Logik nicht allen menschlichen und soziale Dimensionen aufzwingen (...). (...) [Der] Wettbewerb zwischen Nationen und Staaten [reduziert] (...) die Fähigkeit der Politik (..), die wirklichen Probleme auf nationaler und globaler Ebene anzugehen." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 21-22)


2.3.5 Zur möglichen zukünftigen Entwicklung - Szenarien


2.3.5.1 Grundlegende Annahmen über zukünftige Entwicklungen

(Grundlagen der Szenarien)

Quelle: Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 17; anhand des Buches ergänzt und verändert


2.3.5.2 Szenarien für eine von der Logik der Fragmentierung/Regionalisierung geprägten globalen Welt

Das "Apartheidsszenario"

Städte, Regionen und Länder der wissenschaftlich-technisch hochentwickelten Welt entwickeln sich unter Abkopplung vom Rest der Welt (vgl. Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 118).

Das "Überlebens-Szenario"

Jedes Unternehmen, jede Stadt, jede Region, jedes Land und jede soziale Gruppe achtet im Kontext einer fast durchgehend privatisierten, deregulierten und liberalisierten Marktwirtschaft auf die Verteidigung und Förderung der eigenen relativen Vorteile und erreichten Positionen (vgl. Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 120).

Die "Pax Triadica"

Die Zersplitterung der Welt läuft in einer relativ stabilen Weltwirtschaftsordnung unter der Kontrolle der drei am meisten entwickelten Weltregionen (der Triade) ab.


2.3.5.3 Szenarien für eine Welt, in der die Integrationsprozesse, -mechanismen und –institutionen wachsen werden

Das Szenario der "Nachhaltigen globalen Integration"

"Prinzipien des Gemeinwohls, der Solidarität, der Teilhabe am Wohlstand, der globalen sozialen und ökologischen Rechenschaftspflicht, des Dialogs der Kulturen, der Einhaltung der Menschenrechte und der universellen Toleranz" (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 124) finden Eingang auf allen relevanten Ebenen des Alltagslebens.

Das "GATT-Szenario"

Die Institutionalisierung und die Entwicklung der Weltwirtschaft nimmt die Form eines einzigen integrierten Weltmarktes nach dem Vorbild des EU-Binnenmarktes an (vgl. Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 125)

Das Szenario der "Regionalen Integration"

Die Prozesse und die Institutionalisierung der integrierten Weltwirtschaft laufen in erster Linie in wenigen Großwirtschaftsräumen und dabei getrennt zwischen diesen ab (EU, NAFTA, Mercusor, GUS, AFTA, Maghreb); erst die zweite Integration findet auf globaler Ebene und dabei schließlich zwischen diesen Handelsblöcken ab (vgl. Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 126).

Die "Gruppe von Lissabon" hält dieses für das wahrscheinlichste Kooperationsszenario


2.3.5.4 Ergebnis

"Alles in allem sind drei Zukunftsoptionen für die nächsten fünfzehn bis zwanzig Jahre die wahrscheinlichsten: das Überlebens-Szenario, das Pax-Triadica-Szenario und das Regionale Integrationsszenario als einer positiven Entwicklung hin zu einem kooperativen globalen Integrationsszenario. Fürs erste wird die Suche nach neuen Regeln für die Steuerung der globalen Welt von der Wettbewerbsfähigkeit dominiert, also vom Überlebens-Szenario." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 127)


2.3.6 Zu den "Vier globalen Sozialverträgen"

Die zu formulierenden, auf Kooperation, Integration und globaler Steuerung beruhenden "neuen Sozialverträge" müssen Lösungen bieten gegenüber den "globalen sozio-ökonomischen Schlüsselproblemen wie der wachsenden Armut, der Abkopplung der reichen Länder vom Rest der Welt und der Umweltzerstörung" (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 149)


2.3.6.1 Diskutierte Ansätze zur Kooperation

  1. Regionalisierungsansatz (Regionale Einheiten als Säulen eines neuen globalen Systems, das auf den (relativ) ausgewogenen Beziehungen zwischen vergleichbaren regionalen Gebilden beruht. Globales System nicht nach UN-Modell sondern als "Vereinte Föderation") (vgl. Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 151)
  2. "Der Regionalisierungsansatz beruht auf der Idee, daß es einfacher und effektiver ist, wenn man damit beginnt, benachbarte Länder mit einer gemeinsamen Geschichte, Tradition und korrespondierenden Wertesystemen zu wirtschaftlichen Einheiten zu integrieren, anstatt zu versuchen, alle Länder der Welt auf einmal zusammenzuführen." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 158)
    Aber
    : "Regionale politische Integration ist heute – mit Ausnahme Europas – faktisch nicht vorhanden. Sofern sich die heutigen Trends in den nächsten fünfzehn bis zwanzig Jahren fortsetzen, kann man (..) davon ausgehen, daß die Entwicklung regionaler politischer Integrationen langsam und bescheiden sein wird. Wenn das zutrifft, würde die Effektivität des Regionalisierungsansatzes für die Sicherung einer kooperativen globalen Steuerung der Weltwirtschaft stark in Mitleidenschaft gezogen." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 160-161)
  3. Globalisierungsansatz (Einführung von Regeln, Mechanismen und regierungsähnlichen Institutionen auf globaler Ebene. Das so entstehende globale System ist keine bloße Ausweitung des UN-Modells, denn der Grad der Verbindlichkeit und Legitimation ist ungleich höher) (vgl. Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 151)
    "Das Ziel einer Anpassung der nach wie vor auf Nationalstaaten gegründeten Steuerung der Weltpolitik und der Weltgesellschaft an die rasch wachsende globale Wirtschaft ist der Kern des globalen Ansatzes." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 164)
    "Anhänger des globalen Ansatzes sind die aufgeklärten Eliten der reichsten, höchstentwickelten und führenden Länder der Welt. (...) Einen bedeutenden Beitrag zum Globalisierungsansatz leisten auch jene Organisationen, die beim Einsatz für das globale Gemeinwohl eine führende Rolle spielen, d.h. jener Teil der globalen Zivilgesellschaft, der von den Menschen, Prinzipien, Prozessen und Institutionen des UNO-Systems repräsentiert wird." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 164-165)
    Über die Frage der Ausgestaltung der globalen Institutionen und Regeln besteht zwischen den vielfältigen Befürwortern absolute Uneinigkeit

2.3.6.2 Warum der Vertrag als Instrument ?

"Ein Vertrag stellt eine Entscheidung dar, weil die Einigung auf gemeinsame Ziele am Ende eines Beurteilungsprozesses aller beteiligten Parteien mit ihren anfänglich divergierenden Interessen steht. Dabei kommen sie zu der gemeinsamen Erkenntnis, daß die Nutzen der Kooperation größer sind als ihre Kosten. Das Ergebnis ist ein Spiel, bei dem es nur Gewinner gibt (...). Ein Vertrag ist dann eine angemessene Option, wenn die beteiligten Parteien zahlreich, die Probleme komplex und vielschichtig und die notwendigen Lösungen strukturell und langfristig sind." (Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 153)

Bedeutung und Machbarkeit des globalen Vertrages

Quelle: Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 175; nur minimal verändert


2.3.6.3 Grundlagen und Prinzipien der Verträge

Grundbedürfnisse der Weltbevölkerung

Punkte, an denen sich Verträge über "effektive globale Steuerung" orientieren müssen

Prinzipien der globalen Verträge


2.3.6.4 Die vier globalen Verträge

Der "Grundbedürfnisvertrag"
"Beseitigung von Ungleichheiten"

Ziel des Vertrages ist es,

  • Wasser für 2 Milliarden Menschen,
  • Unterkünfte für 1,5 Milliarden Menschen und
  • eine effiziente Energieversorgung für 4 Milliarden Menschen zur Verfügung zu stellen.

Akteure bei verschiedensten Abmachungen: Privatunternehmen, Regierungsbehörden, Finanzinstitutionen, Nichtregierungsorganisationen, Verbänden und Stiftungen aus reichen und armen Ländern

Der "Kulturvertrag"
"Toleranz und interkultureller Dialog"

Ziel dieses Vertrages ist

  • die Unterstützung von Maßnahmen und Kampagnen zur Förderung von Toleranz und Dialogen zwischen den Kulturen (Vertiefung von Wissen und Verständigung)

Akteure: private und öffentliche Institutionen in aller Welt, die als Foren für kulturelle Initiativen dienen, lokale Medienunternehmen, Bürgerinitiativen, Vertreter der Städte, Stiftungen, Museen, Theater und Universitäten

Der "Demokratievertrag"
"Globale Steuerung"

Ziel dieses Vertrages ist es,

  • zur Umkehrung des Trends beizutragen, nach dem eine Gruppe privater Netzwerke staatenloser Unternehmen eines Tages nicht nur die wirtschaftliche Sphäre sondern auch die staatliche und überstaatliche Politik bestimmen wird

"Zentraler Bestandteil des Vertrages wäre eine Kampagne zur Einberufung einer Bürgerversammlung innerhalb der nächsten 10 Jahre. Diese Versammlung sollte mit Hilfe der UNO-Vollversammlung das erste Mal durch eine interparlamentarische Sitzung der nationalen Parlamente einberufen werden." (S. 178)

Der "Erdvertrag"
"Durchsetzung der nachhaltigen Entwicklung"

Zentrale Bereiche (teils bereits Teil der Agenda 21):

  • soziale und ökonomische Fragen
  • der Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen
  • die Stärkung der Rolle diverser Gruppen
  • die Mittel zur praktischen Durchsetzung der Vorschläge
  • eine Erklärung über die Prinzipien der Walderhaltung
  • seine UNO-Rahmenkonvention zum Klimawandel
  • eine Konvention zur Artenvielfalt
  • eine Konvention gegen die Versteppung

Quelle: Die Gruppe von Lissabon 1997: S. 187; verändert und anhand des Buches ergänzt

Ziel der vier globalen Verträge ist eine "neue globale Welt (...), eine Welt, die ökonomische Effizienz, soziale Gerechtigkeit, eine ökologisch nachhaltige Entwicklung und politische Demokratie miteinander versöhnt, anstatt sie ausschließlich für ihre eigenen Interessen und den Kampf um globale Hegemonie zu nutzen" (Die Gruppe von Lissabon 1997: 27-28).


2.3.7 Anhang – "Riccardo Petrella wird konkreter"

Petrella, Riccardo (1998): Wider eine Gesellschaft, in der alles privatisiert ist. Wie kann das notwendige Gleichgewicht zwischen Wirtschaft, Beschäftigung und Umwelt verwirklicht werden?, in: Frankfurter Rundschau, Nr. 275/1998, 26.11.1998, S. 8

"Die Lösungen müssen anders sein – Alternativen darstellen zu dem, was von den heute herrschenden Kräften eingeführt worden ist. (...) Die Formen und die Inhalte der aktuellen Globalisierung stellen nicht die einzig möglichen Lösungen dar. Sie sind keineswegs unanwendbar oder irreversibel. (...) Was wir brauchen ist ein Vertrag für eine andere Globalisierung." (Petrella 1998: S. 8)

Neue Aufgabe für die globale Ökonomie: "Die eigentliche Fragestellung für die Weltwirtschaft besteht nicht in der Integration der lokalen Wirtschaften in die Weltwirtschaft. Sie besteht darin, in Erfahrung zu bringen, welche Prinzipien, Regeln und Institutionen innerhalb der nächsten fünfundzwanzig Jahre definiert und geschaffen werden müssen, damit es diesen 8 Milliarden Menschen möglich sein wird, ihre Grundbedürfnisse – Trinkwasser, Unterkunft, Ernährung, Energie, Gesundheit, Bildung, Information, Transport, Kommunikation, künstlerischen Ausdruck, Beteiligung an der Gestaltung der Allgemeinheit – zu befriedigen." (Petrella 1998: S. 8)

Da dies aber eigentlich Domäne der Politik sein muß, stellt sich die Frage, nach den Akteuren der Zukunft und besonders deren Legitimation ! Grundlegend sind für Petrella dabei (1) die Stärkung der öffentlich legitimierten Regierungen und (2) Förderung der tatsächlichen lokalen und globalen Produktivität im Interesse der Allgemeinheit

Handlungsanweisungen für eine verantwortungsvolle Politik (vgl. Petrella 1998: S. 8)

  1. Stop der Privatisierung von Allgemeingütern und –dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit, Wasser und weiterer grundlegender Infrastruktur ("Die Privatisierung dieser Güter zu akzeptieren hieße, unsere Gesellschaft aller Prinzipien der sozialen Solidarität, der Gleichheit, der Brüderlichkeit (...) zu berauben.")
  2. Begrenzung des Einflusses des Kapitalmarktes zugunsten einer transparenten und legitimen Politik (Bsp.: das Europäische Parlament muß Orientierungs- und Kontrollfunktion bei der Europäische Zentralbank ausüben können)
  3. Veränderung der Rolle von Wissenschaft und Technik (gegen die Vereinnahmung von Innovationen einzig für wirtschaftliche und finanzielle Interessen von Unternehmen, für die Befriedung der Grundbedürfnisses von 8 Milliarden Menschen)
  4. Reorganisation und Redistribution des Reichtums (Umverteilung der Gewinne vom Kapital zugunsten des (arbeitenden) Bürgers)

Konkrete Maßnahmen zur "Abrüstung des Finanzwesens"

  1. Einführung einer Steuer von 0,5 Prozent auf alle weltweiten Finanztransaktionen (Tobin-Steuer); Errichtung eines Weltfonds, mit dem ein Ausbau der globalen Wohlfahrtsgesellschaft finanziert werden könnte (z.B. weltweite Wasserversorgung); Ebene der Verwirklichung: G7, OECD, ...
  2. Beseitigung von Steuerparadiesen
  3. Beendigung des absoluten Bankgeheimnisses
  4. Schaffung eines Weltrates für wirtschaftliche und finanzielle Sicherheit; Aufgabe: Definition eines neuen globalen Finanzsystems ("Bretton Woods des 21.Jahrhunderts") und Überwachung des fairen Einsatzes von Mitteln zur Entwicklung und zum Wohl der gesamten Weltbevölkerung

Neue Vollbeschäftigungspolitik, die durch eine andersartige Politik der technologischen Innovation gefördert wird:


2.4 Ingo Petzold: Drei Ziele - Ein Weg

Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sozialer Zusammenhalt, ökologische Nachhaltigkeit
(Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung)


2.4.1 Die Kommission

Die Zukunftskommission der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung konstituierte sich 1995. Sie setzte sich aus 18 Mitgliedern aus den unterschiedlichsten Fachbereichen zusammen, darunter Vertreter aus der Familiensoziologie, den Finanz- und Wirtschaftswissenschaften, der Jurisprudenz und der Politologie.


2.4.2 Ideelle Grundannahmen und Vorverständnis

Ziel der Kommission war die Entwicklung von Konzepten für gesellschaftliche und politische Reformen, da daß bisherige politische System an seine Grenzen stößt. Die Vorschläge der Kommission sind gekennzeichnet von dem Bestreben, auch unter den Bedingungen der internationalen Konkurrenz, der Globalisierung und Individualisierung an den Zielen des deutschen Modells einer sozialen Marktwirtschaft festzuhalten.

Die Kommission ist zu der Überzeugung gekommen, daß die gegenwärtigen Schwierigkeiten der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft nur durch Strategien überwunden werden können, die geeignet sind, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sozialen Zusammenhalt und ökologische Nachhaltigkeit auszubalancieren. In der Realität und in der politischen Gewichtung sind Zielkonflikte zwischen den drei Komponenten der Normalfall. Diese Konflikte sollen durch kreative und kooperative Strategien minimiert werden, so daß in der Annäherung an die drei Ziele die Balance in diesem Anforderungs-Dreieck gehalten wird.

Vor dem Hintergrund dieses Vorverständnisses entwickelt die Kommission vier Reformprojekte, die unter den Anforderungen der ökonomischen, sozialen und ökologischen Verträglichkeit, Reformen und Innovationen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten vorantreiben soll. Ziel ist es zu einem stimmigen und robusten "Modell Deutschland" zu kommen. "Die einzelnen Projekte sind jeweils einem Pol des beschriebenen Anforderungs-Dreiecks zugeordnet. Charakteristisch für sie ist jedoch, daß sie nicht lediglich den Zielwert, dem sie in erster Linie zugeordnet sind, maximieren sollen, sondern daß sie zugleich die von den beiden anderen Polen bestimmten Randbedingungen und Anforderungen mit berücksichtigen." (S. 22)


2.4.3 Die Reformprojekte

Vor dem Hintergrund der strukturellen Veränderungen und Entwicklungen in den gesellschaftlichen Bereichen, kommt es aus Sicht der Kommission vornehmlich in drei Bereichen zu Friktionen, mit deren Lösung sie sich auseinandergesetzt hat.


2.4.3.1 Verbesserung der Innovationsfähigkeit und Stärkung der Humanressourcen

Stärkung der Forschung, Entwicklung und Innovation

Der High-Tech-Bereich der deutschen Wirtschaft unterliegt seit einigen Jahren einem besonderen Globalisierungsdruck. Der internationale Wettbewerb hat sich enorm verschärft. Die deutsche Wirtschaft ist gezwungen, auf ihre vorhandenen Stärken aufzubauen und Innovationen in den Spitzentechnologien voranzutreiben. Dies ist nur möglich, wenn in den Bereichen Forschung und Entwicklung weitreichende strategische Investitionen getätigt werden. Die Forschung und Entwicklung von (neuen) Produkten und Dienstleistungen verbunden mit der Erschließung neuer Märkte (Informationstechnik, Biotechnologie) muß zum Schwerpunkt deutscher Wirtschafts- und Forschungspolitik werden. Ein Konzept schnellerer Kopplung von Zukunftstechnologien mit den bisherigen technisch-wirtschaftlichen Stärken, eine bessere Nutzung der internationalen Wissensproduktion muß schließlich in eine Strukturänderung der deutschen Forschungslandschaft führen. Die öffentliche Förderung von Teamforschung, die bessere Einbindung der langfristig anwendungsorientierten Grundlagenforschung in das Geschehen der angewandten Forschung und eine stärkere Problemorientierung der Forschung und Entwicklung insgesamt sind wichtige Reformaufgaben, die umgehend von Politik und Gesellschaft angepackt werden müssen.

Die Reform des Bildungs- und Ausbildungssystems

Die Stärkung und Innovation der deutschen Forschungslandschaft muß durch eine weitgehende Reform des deutschen Bildungs- und Ausbildungssystems folgen. Dabei setzt die Kommission nicht auf eine Auflösung des dualen Berufsbildungssystems, sondern vielmehr auf dessen Transformation. "Transformation nicht nur, weil man ein Ausbildungssystem nicht von heute auf morgen umstrukturieren kann, sondern vor allem deswegen, weil es Sinn macht, die Stärken des dualen Systems in einer neuen Form der Institutionalisierung zu wahren und die Schwächen zu beseitigen." (S. 27)

Zu den Reformmaßnahmen zählen u.a. die Lockerung des Berufsprinzips und die Neuordnung der schulischen und beruflichen Bildung, mit dem Ziel flexibler Kombination von allgemein- und berufsbildenden Prozessen. Des weiteren soll eine stärkere Durchlässigkeit der dualen Aus- und Fortbildungsgänge zu den wissenschaftlichen Studiengängen an den Fachhochschulen und Universitäten weiterentwickelt werden. "Aufgrund der steigenden Bedeutung der Weiterqualifizierung für den Erhalt der beruflichen Mobilität wird schließlich ein neuer und stabiler institutioneller Rahmen und eine entsprechende Finanzierung von Weiterbildung nötig." (S. 28)

Modernisierung des Staates in seiner Dienstleistungsfunktion

Im Gegensatz zum Modell des "schlanken Staates" plädiert die Kommission für eine umfassende Modernisierung aller staatlicher Dienstleistungen. .Dabei ist von großer Bedeutung, daß der Staat mit seinen zwei zentralen Funktionen - der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen und der Regulation marktlicher wie nichtmarktlicher Beziehungen - eine zentrale Position hinsichtlich der Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft einnimmt.

Hinsichtlich der Entwicklung eines modernen und innovativen öffentlichen Sektors ist eine Neudefinition des staatlichen Selbstverständnisses weg von der Produzentenrolle hin zu einer Gewährleistungsfunktion notwendig. Der Ansatzpunkt liegt in einer Entkopplung der Kommunen von politischen Vorgaben und Festlegungen und in einer Ausdifferenzierung des kommunalen Aufgabengebietes. Die kommunale Dienstleistung soll sich extern einer Qualitäts- und Wettbewerbsorientierung mit den privaten Anbietern messen. Die Überwindung verkrusteter, bürokratischer Strukturen, die Erweiterung von Managementkompetenzen der Angestellten und die Erhöhung des Innovationsprozesses insgesamt (Re-engeneering) sind weitere Modernisierungsvorschläge der Kommission.


2.4.3.2 Verbesserte Beschäftigungsmöglichkeiten für Niedrigqualifizierte

Während die unter Punkt 3.1 genannten Reformvorschläge vor allem die High-Tech-Arbeitsplätze in der exportorientierten Industrie begünstigen, konzentriert sich das zweite Reformprojekt auf Beschäftigungsmöglichkeiten für Niedrigqualifizierte in der Binnenwirtschaft.

Bürgergeld

Der Grundgedanke des Bürgergeldes liegt darin, den Einkommens- und Lohnsteuertarif um einen Negativbereich für auszuzahlende steuerfinanzierte Sozialleistungen zu erweitern. In das Modell sollen verschiedene sozialstaatliche Leistungen integriert werden (BAföG, Wohngeld, Erziehungsgeld, Sozialhilfe, etc.). Diese finanzielle Leistung (etwas höher als der Sozialhilfesatz) erhält grundsätzlich jeder Bürger, dessen individuelles Einkommen nicht ausreicht, um seine Existenz zu sichern. Das eigene Einkommen wird zu 50% angerechnet. So entsteht für den Empfänger der Anreiz auch niedrig bezahlte Tätigkeiten einzugehen ohne dabei am Existenzminimum leben zu müssen. Auf der anderen Seite besteht für den Arbeitgeber die Möglichkeit, Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich zu schaffen, ohne dabei übermäßige betriebswirtschaftliche Gesamtkosten auf sich zu nehmen.

Lohnergänzende Einkommenszuschüsse

Die Eröffnung eines Niedriglohn-Arbeitsmarktes soll durch die gesetzliche Festlegung eines Mindestlohns unterhalb der derzeitigen Leichtlohntarife ermöglicht werden. Dieser Lohn wird durch lohnergänzende staatliche Zuschüsse soweit aufgestockt, daß das Nettoeinkommen bei Vollzeit-Arbeit über dem Existenzminimum für eine alleinstehende Person liegt. "Anders als beim Bürgergeld, wo mit der Festlegung des Anrechnungssatzes und des Existenzminimums alle anderen Parameter festliegen, läßt sich hier also der Umfang der Förderung durch die Entscheidung über die Höhe des maximalen Zuschusses politisch bestimmen." (S. 263)

Senkung der Sozialversicherungsbeiträge

Eine dritte Möglichkeit zur Schaffung von Arbeitsplätzen im Niedriglohnsektor besteht in der Senkung der Beiträge zur Sozialversicherung. In diesem Modell werden innerhalb eines zu definierenden Bereichs der Lohnskala die Sozialbeiträge zum teil oder vollständig erlassen. Damit steigt zum einen der Nettolohn des Arbeitnehmers und zum anderen sinken die Lohnkosten für den Arbeitgeber. Die fehlenden Steuereinnahmen werden durch einen staatlichen Zuschuß an die Sozialkassen nivelliert. Im Gegensatz zu den oben erwähnten Vorschlägen, hätte die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge den Vorteil, daß die für die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze maßgebliche Senkung der Arbeitskosten zunächst innerhalb der gegenwärtigen Tarifstruktur stattfinden könnte. Während also die ersten beiden Modelle auf harte Widerstände bei den Gewerkschaften stoßen, würde dieses Problem bei der Senkung der Sozialversicherungsbeiträge nicht entstehen.


2.4.3.3 Politik der sozialen Integration

"Im Mittelpunkt des Projekts stehen die Zielkonflikte einer Politik sozialer Integration, die sich aus der gegenläufigen Entwicklung von Erwerbsorientierung und -chancen einerseits, Familienwunsch und der Möglichkeit seiner Verwirklichung andererseits bei gleichzeitig Veränderten Parametern der Sozialpolitik ergeben." (S: 269)

Vor dem Hintergrund der zunehmenden pluralisierung und individualisierung der Lebensformen, müssen die Leistungen und die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme reformiert werden. Daher fordert die Kommission, daß die sozialen Sicherungssysteme sowohl hinsichtlich ihrer Finanzierung als auch im Hinblick auf ihre Leistungen so strukturiert sein müssen, daß sie die Aufnahme von Erwerbsarbeit jeglicher Art ermöglichen. Zudem muß der Wechsel zwischen Teilzeit- und Vollzeitarbeit und der Wechsel zwischen selbständiger und abhängiger Erwerbsarbeit strukturneutral wirken. Die Leistungen des Sicherungssystems müssen auf das Individuum bezogen ausgezahlt werden und einen stabilen Familienverband nicht voraussetzen. Letztlich müssen zur Finanzierung der gesamten Leistungen des modernisierten sozialen Sicherungssystems nicht nur das Arbeitseinkommen, sondern alle Einkommensarten herangezogen werden.


2.4.3.4 Umweltverträgliche Lebens- und Wirtschaftsweise

Die Kommission befürwortet insgesamt vier Lösungsansätze, um die Ressourceneffizienz zu erhöhen und den ökologischen Strukturwandel zu beschleunigen. Zunächst soll die Einführung einer Öko-Steuer ökologische Anreizstrukturen schaffen und ihr Aufkommen zur Finanzierung eines innovativen Sozialstaatssystems (Bürgergeld) herangezogen werden. Des weiteren soll ein Haftungsrecht für Umweltschäden eingeführt werden. Die Haftung soll die Verhütung von Umweltschäden (Prävention), eine verursachergerechte Anlastung (Internalisierung) und eine Entschädigung der Opfer (Kompensation) enthalten. Als Ergänzung zum Haftungsrecht soll ein Schadensfonds flankierende Maßnahmen fördern. Außerdem plädiert die Kommission für eine Unterstützung umweltschonender Innovationen durch gezielte staatliche Innovationsförderungen und umweltschonende Unternehmensstrategien. Die Unterstützung umweltschonender Innovationsprozesse durch joint implementation weiterentwickelt werden. "Beim joint implementation-Ansatz kann ein Land seinen eingegangenen Verpflichtungen zur Emissionsreduzierung (Beispiel: CO2)sowohl durch Maßnahmen im eigenen Land als auch durch Maßnahmen in einem anderen Land nachkommen." (S.40)


2.5 Adrienne Certa, Grogory Roth: Kultur & Entwicklung


2.5.1 Unsere kreative Vielfalt

Kultur im Rahmen der Globalisierung - in diesem Kontext stand der Bericht der UNESCO Weltkommission für Kultur und Entwicklung "Our creative Diversity", der auf die erste zwischenstaatliche UNESCO-Konferenz über Kulturpolitik und Entwicklung 1995 in Stockholm eingeht. In politischen Ereignissen wie dem Ende des Ost-West Konflikts, der starken Zunahme bewaffneter Konflikte innerhalb bestehender Staaten sowie in kommunikationstechnischen Entwicklungen erkannte die Kommission neue Herausforderungen.

Die grundsätzlichen Annahmen des Berichts beruhen auf der Definition eines erweiterten Kulturbegriffs, den bereits die festgelegt hat: "Kultur ist die Gesamtheit der einzigartigen, geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte..., die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schließt nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte der Menschen, Wertesysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen." (festgelegt auf der ersten UNESCO Weltkonferenz über Kultur 1982 in Mexico-City)

Kernstück der menschlichen Entwicklung ist die Erweiterung menschlicher Entscheidungsmöglichkeiten, deren letztliches Ziel das allgemeine körperliche, geistige und soziale Wohlergehen eines jeden ist.

Kultureller Pluralismus ist der Schlüsselbegriff zur Bewältigung komplexer Probleme: "Each culture constitutes a unique way of interpreting or relating to a world so complex that the only hope of knowing it or dealing with it is to approach it from as many perspectives as possible." (Frederico Mayor, UNESCO-Generalsekretär)

Kultureller Pluralismus ist aber mit einer globalen Ethik stark verknüpft. Sie beinhaltet die Universalität von Menschenrechten, wechselseitige Toleranz und das Empfinden anderer Kulturen als Bereicherung. UNESCO Mindesstandards sind: Demokratie, Meinungs- und Informationsfreiheit und Minderheitenschutz. Durch so ermöglichte alternative Lebensweisen, durch Phantasie und Kreativität wird kulturelle Freiheit zum Garant von Freiheit überhaupt.

Diese dynamische Kultur ist nicht mehr mit einer nationalen Einheitskultur gleichzusetzen, sie findet sich auf lokaler wie globaler Ebene wieder und wertet den interkulturellen Dialog auf.

Der neue Kulturbegriff steht also auch gegen ein Entwicklungskonzept, das ausschließlich auf wirtschaftlichem Wachstum als linearen Prozeß beruht.

Kultur wird nicht mehr als entwicklungshemmender oder -förderlicher Faktor gesehen, sondern als Innovationsquelle für konkrete Problemlösungen. Von allen Faktoren des öffentlichen Lebens ist die Kultur am nachhaltigsten.

Neue Bedeutung der Kulturpolitik: Moderation von Entwicklung, Integration und Partizipation mit einer adäquaten Wirtschafts- und Sozialpolitik.

10 Punkte Plan für kulturelle Entwicklung

1jährlicher Weltbericht über Kultur und internationales Forschungsprogramm
2neue kultursensible Entwicklungsstrategien
3Freiwilligendienste zur Rettung des Kulturerbes
4Gleichstellung von Frauen und Männern
5Mehr Vielfalt und Wettbewerb in der Medienlandschaft
6Jugendschutz vor Gewalt und Pornographie
7Kulturelle Rechte als Menschenrechte
8Globale Ethik in den internationalen Beziehungen
9Demokratisierung der Vereinten Nationen
10Weltgipfelkonferenz über Kultur und Entwicklung

1998 fand in Stockholm die zweite zwischenstaatliche UNESCO-Konferenz über Kulturpolitik und Entwicklung statt, auf der einige dieser Punkte konkreter diskutiert. Ein internationaler Aktionsplan zu einer Kulturpolitik für Entwicklung wurde verabschiedet:

1Verknüpfung von Kultur- und Entwicklungspolitik (Kulturpolitik als Kernelement von wirtschaftlichen Entwicklungsstrategien.
2Forderung nach Bereitstellung zusätzlicher finanzieller und personeller Ressourcen für kulturelle Entwicklung. Appell an UNESCO-Mitgliedsstaaten, ihre Kulturhaushalte erheblich aufzustocken.
3Förderung der Partizipation aller Bevölkerungsschichten am kulturellen Leben.
4Entwicklung neuer Konzepte für den Erhalt des materiellen und immateriellen Weltkulturerbes; Förderung von Kulturindustrien
5Erhalt der kulturellen und sprachlichen Vielfalt. Förderung freier, unabhängiger und lokaler Medien.

2.5.2 Eine schöne neue Medienwelt?

"Congratulations! You're creating the Global Village!"

Marshall McLuhan zu Ted Turner bei der Gründung von CNN, 1980

Zum einen gab es in Stockholm ein mehrheitliches Plädoyer für ein Festhalten an nationaler Medienpolitik, zum anderen wurde erklärt, daß es unmöglich wäre, "Aspekte der Kulturpolitik anzugehen, ohne die Rolle der Medien in Betracht zu ziehen...das schnelle Entstehen neuer Technologien und neuer Medien wirft Fragen auf, welche die Zugänglichkeit zu diesen Medien vor dem Gefälle wirtschaftlicher und kultureller Macht in Betracht ziehen, sowie die Konsequenzen für die ganze Kulturlandschaft."

(Erklärung zur Konferenz über Kultur- und Medienpolitik, Stockholm 1998)

Film und Fernsehen werden zwar lokal vermittelt, werden aber in einem immer globaleren Rahmen produziert und vermarktet. Die ersehnte Regionalität entsteht paradoxerweise gerade durch den Zusammenschluß großer Medienunternehmen auf internationaler Ebene. Sie wollen sich vor Ort präsentieren, einen direkteren Bezug zum Zuschauer herstellen. CNN etwa drängt mit CNN Deutschland auf den deutschen Markt; Aus MTV Europe, selbst ein regionaler Ableger, wird für den Zuschauer MTV Deutschland. Sogar die amerikanische Filmindustrie, selber gerne als "global player" gesehen, ist nicht mehr nur amerikanisch. Matsushita Electric Industrial kaufte die Universal Studios, Sony Columbia TriStar. Der Inhalt der Spielfilme aber bleibt amerikanisch und global vermittelbar.

Das Blickfeld wird regionaler, während der Produzent global agiert. So werden die weltweiten Konsumenten nicht nach ihren Unterschieden, sondern nach ihren Gemeinsamkeiten bewertet.


2.5.3 Ein neuer bipolarer (Medien)Konflikt?

Im Medienbereich ist eine global einheitliche Repräsentation der Regionen ("Welten") noch nicht erreicht. Amerikanische Spielfilme werden weltweit gezeigt, Filme und Medienberichterstattung aus der Dritten Welt spielen aber eine eher marginale Rolle. Dies liegt u.a. daran, daß die größten Nachrichtenagenturen ihren Sitz in London (Reuters), New York (AP) und Paris (AFP) haben und das geographische Netz der Agenturen auf der kolonialen Vergangenheit der jeweiligen Länder beruht. Die Infrastruktur der ehemaligen Kolonien ist ebenfalls in dieser Zeit entstanden. Das Resultat ist eine globale Berichterstattung von Menschen der Ersten über Menschen der Dritten Welt. Andererseits ist die mediale Versorgung der Dritten Welt noch immer unterentwickelt.

In Ländern, in denen ein demokratischer Wandel stattfand stieg der Absatz von TV-Geräten, wie etwa in Osteuropa. In China hat sich die Anzahl von Fernsehern fast verdreißgfacht; es gilt hier jedoch zu bedenken, daß sich die vorsichtige Öffnung zur Marktwirtschaft nicht in freier und ungefilterter Berichterstattung niederschlägt.


2.5.4 Kultur im Cyberspace

"Die Cyberkultur glaubt, daß die Technik alleine, also vor allem die Existenz des Internet, bereits ein politisches Ideal der Emanzipation enthält." (Florian Rötzer: "Die kalifornische Ideologie - ein Phantom?")

Das Internet macht bestehende Kultur erreichbarer (Bibliotheken, etc.) und schafft neue Kultur. Die Sicht auf das Internet als Allheilmittel globaler Informationslücken und wirtschaftlichen Motor birgt aber eine Reihe von Problematiken.

  1. Zugang zum Medium Ähnlich wie beim Fernsehen besteht die Gefahr, daß sich die Welt in haves und have nots aufteilt.
  2. Privatsphäre Das Problem der Anonymität des virtuellen Autors einerseits und die Möglichkeit der technischen Zurückverfolgung andererseits.
  3. Copyright Generell sind Arbeiten geschützt, in welcher Form sie auch immer reproduziert werden. Zahlreiche Prozesse und kurzlebige Gesetze haben aber gezeigt, wie kompliziert es ist, die Rechte des Autors UND des Users zu wahren. "Der Konsument muß der alleinige Indikator von Angebot und Nachfrage in der neuen Medienwelt sein." (U.k.V., S. 103)
    Alternative: "Any work not specifically identified as covered by intellectual property right should be regarded as in free circulation." (Jérôme Huet:"What Culture in Cyberspace?)
    Das Netz ist immer noch eine rechtliche Grauzone.
  4. Staatliche Regulation findet etwa in Frankreich (heimische Seiten müssen in der Landessprache erscheinen) und in China (Filtern jeglicher Inhalte) statt.
  5. Eskapismus steht im krassen Gegensatz zu staatlichen Regulierungsversuchen ("kalifornische Ideologie") und schafft wiederum eigene Gemeinschaften (Multi-User-Dimensions).

Die Tatsache, daß nicht nur große Unternehmen sondern verstärkt auch Künstler das Internet nutzen um sich und Ihre Produkte zu vermarkten zeigt einen weiteren nachhaltigen Effekt globaler Vernetzung: Die Digitalisierung ermöglicht in vielen kreativen Bereichen das Umgehen der Industrie.

Die Medienwissenschaft diskutiert bereits die ästhetische Rezeption von visuellen Inhalten am Computer, das Ablösen des optischen durch das synthetische Bild. (vgl. Hartmut Winkler: Docuverse)

Schnellere Datenhighways und intelligentere Software haben unübersehbare wirtschaftliche, soziale, kulturelle und rechtliche Konsequenzen

Die Lösungen müssen also, wie auch das Internet, international sein.


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